“Ich Tarzan du DJane?”

 

Oder: Warum gibt es eigentlich so wenige weibliche DJ´s?

Betrachtet man die nüchternen Zahlen, so scheint es, als hätte es die Gender- und Queerstudies nie gegeben, als wäre die Emanzipationsbewegung der 60er und 70er Jahre wirkungslos verpufft. Von den geschätzten 130 DJ-Sets, die ich in den letzten acht Monate im Klub miterleben durfte, wurden ganze sechs von Frauen gespielt. 6 von 130, das macht weniger als 5%.

Eine Zahl, die einen ins Grübeln bringen muss. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass in den 160 Aufsichtsräten der deutschen Topunternehmen der Frauenanteil viermal höher ist als hinter dem DJ-Pult im Schwarzen Schaf. Im Bereich HipHop und Bassmusik fand sich in diesem Zeitraum kein einziges Mädchen, dass sich mit den Jungsbanden messen wollte, die üblicherweise zu späten Nachtstunden das Pult im Klub in Beschlag nehmen. Mädchen werden allenthalben herangewunken, bleiben aber zumeist an den Flanken des Pultes stehen, sich zuweilen wundernd, was die Jungs in ihren lustigen Posen hinter dem Mischer eigentlich so treiben.

Das angesprochen Phänomen beschäftigt mich nun schon eine ganze Weile, zumeist, wenn mein Blick an manchen Abenden im Klub, – vom Lichtpult aus – über die Szenerie der Nacht schweift. Festzuhalten ist, dass die dabei betrachteten Szenen keine Besonderheiten darstellen. Zählt man die Anzahl der Frauen in den aktuellen Top100 des residentadvisor, den unangefochtenen Charts der internationalen Top-DJs, so kommt man dort auf sechs weibliche DJs. Das Schaf ist damit, großzügig betrachtet, noch im Schnitt. Es ist schlicht Stand der Dinge, dass DJs im Jahr 2014 überall in der Welt Männer sind.

In meinem Bücherregal, das auch einige Klassiker der feministischen Popliteratur enthält, mach ich mich also an einem verkaterten Samstag auf die Suche nach der Beantwortung dieser Frage, die mich irgendwie wurmt: Warum zum Teufel gibt es so wenige weibliche DJs? Schnell wird deutlich, dass diese spezielle Frage dort wenig behandelt wird. Bei Autoren wie Martin Büsser, in Sonja Eismanns Hot Topic, der Testcardoder bei Tine Plesch finden sich zwar ausführliche Reflexionen zum Thema Feminismus und Popkultur, zumeist beziehen sich diese jedoch auf die, bis vor wenigen Jahren dominanten Formen linker Popkultur: Hardcore, Indie-Konzerte, Riot-Girrl-Bewegung und andere Subkulturen. Der Bereich der Klubkultur wird zumeist verschmäht oder nur am Rande behandelt. Ein paar Dinge lassen sich aber doch finden. Clara Völker berichtet und reflektiert in Platten statt Schminke auflegen (Hot Topic) über ihre Erfahrungen als weibliche HipHop-DJane. Neben ernüchternden Erfahrungen als Frau in diesem Bussines kommt ihr der Gedanke, dass ein entscheidendes Hindernis für junge Frauen, die sich für Popmusik begeistern (und doch nicht den Weg bis hinter die „Platttenteller“ antreten), darin besteht, sich mit dem hohen technischen Herausforderungen, die das Auflegen heute fordert, auseinanderzusetzen. Nun ist es sicher nicht von der Hand zu weisen, dass Frauen noch immer in allen als technisch verstandenen Berufsfeldern, etwa der Informatik oder den Ingenieurswissenschaften, eine unterrepräsentierte Rolle spielen. Technische Tätigkeiten werden immer noch mit Männlichkeit in Verbindung gebracht, und auch die unterschiedliche Sozialisation von Jungen und Mädchen in unserer Gesellschaft mag einen Grund dafür bieten, dass Frauen eine Laufbahn als DJane erschwert wird. Doch selbst in eindeutig technischen Berufen sind Frauen heute weit häufiger vertreten als hinter einem DJ-Pult. Die technischen Fähigkeiten die man heute besitzen muss, um ein passables DJ-Set abzuliefern, sind auch – diese Spitze sei mir erlaubt –, nicht dermaßen vom anderen Stern, als könnte man allein dadurch das angesprochen Phänomen erklären. Meiner Beobachtung nach sind Jungs aber unglaublich gut darin, in ihren nerdigen Technikgesprächen, diesen Eindruck zu vermitteln und dadurch einzuschüchtern. Das Wissen um technische Geräte und aktuelle Strömungen der jeweilig vertretenen Musikrichtung wird gehütet wie ein Schatz und geschickt platziert, um sich in der Geste des Experten und „Machers“ zu inszenieren. Dass außer einem gigantischen Namedropping zusammen mit dem Wissen über die neuesten technischen Spielzeuge, kaum etwas dahinter steckt, sei einfach mal in den Raum gestellt. Das DJ-Pult, „the place where the magic happens“!? Nun ja.

Möglicherweise ist es vielmehr die Inszenierung des DJs, die etwas derartiges Männliches an sich hat, dass sie Frauen aus dieser Position tendenziell ausschließt. Dazu passt zunächst die Beobachtung das unter den VJs (Visual Jockeys) mit dem Frauenanteil weit weniger schlimm bestellt ist. Ebenfalls auf einem eher technischen Level unterwegs, begleiten die VJs den DJ durch eine, im besten Fall, die Soundstruktur interpretierende Manipulation der Projektionen und Lichteffekte im Klub. Der DJ bleibt aber immer Herr des Geschehens, er „gibt den Ton an“, bleibt der Führende, der Dominierende des Abends. Und diese Rolle wissen die meisten DJs auch ausgiebig zu betonen. DJ und Publikum, Führender und Geführte_r, diese Struktur ist in den wirklich guten Klubmomenten, in denen man sich ganz und gar dem Sound hingibt, durchaus spürbar. Es ergibt sich eine zärtliche Verbindung zwischen den Tanzenden und dem DJ, an der allerdings die gesellschaftlich dominanten Kategorien von männlich und weiblich, von aktiv und passiv weiterhin haften. Aus den Frühphasen der Berliner Technokultur ist mir eine Erzählung in Erinnerung, die besagt, dass damals versucht wurde, den DJ und das Publikum dahingehend zu trennen, dass der DJ überhaupt nicht auf der Tanzfläche präsent war. Das Auflegen aus dem Hinterzimmer, konnte sich nicht durchsetzen und doch gibt es immer wieder Versuche, die Dominanz des DJs als „Macher“ zu beschränken (etwa den ruhigen, kühlen Stil den Dixon derzeit bei seinen Sets pflegt).

Über diese allgemeine Struktur schieben sich dann folglich immer wieder Dinge, die Resultat eines männlich dominierten Klubwesens sind und in dem eine gewisse Form des Bandenwesens herrscht. Partyflyer mit mächtigen Brüsten, Twerking-Phantasien und Machosprüche im Backstage. Einiges davon muss sicherlich als explizit sexistisch kritisiert werden, über andere Dinge kann man eigentlich nur schmunzeln oder sie mit wackelnden männlichen Knackärschen auf den Projektionsflächen der Visuals ironisch kommentieren. Dass die Atmosphäre im Klub sexuell aufgeladen ist, kann nicht Resultat dieser Kritik sein. Lediglich die einseitige Richtung gilt es zu bemängeln.

Den Jungsbanden des heutigen Klubbetriebs kann man eigentlich nur ein paar ordentliche Mädchenbanden wünschen, die diesen etwas Paroli bieten. Mit den 5%, welche Gründe auch immer dafür verantwortlich seien mögen, müssen wir uns auseinandersetzen. Oder um es mit Christiane Rösinger zu halten: „Es muss endlich dem letzten Indie-Kavalier und superaufgeklärten Popkulturspezialisten ein seltsames Gefühl beschleichen, wenn er bei den wichtigsten Dingen des Lebens immer nur von männlichen Kumpels umgeben ist, er muss endlich merken, dass mit ihm was nicht stimmt, nicht mit den Frauen, die es in seiner Szene angeblich gar nicht gibt.“